Entsprechend einem Konzeptentwurf von Janne Teller (In: KRIEG: Stell Dir vor er wäre hier, Hanser, 2011), sind die von Flucht und Vertreibung Betroffenen in unserem Stück Deutsche, ihr Ziel ist ein Ihnen fremdes Land jenseits des Mittelmeers …

Die Entscheidung zur „Umkehrung“ der Verhältnisse beruht darauf, dass die aktuelle Flüchtlingssituation bereits in vielfältiger medialer Aufbereitung beschrieben ist, ein emotionales und rationales Verständnis der Ursachen von Flucht und Vertreibung bei uns in den Zielländern aber weiterhin in der Breite der Bevölkerung abstrakt bleibt. Mit einer Umkehrung verbinden wir – ebenso wie Janne Teller – die Erwartung, dass die persönliche Betroffenheit des jungen und älteren Publikums erreicht wird.

Worum geht es hier?

 

Kiel 2030, nationalistische Regime haben in Europa zur Auflösung der EU geführt. Es entbrennt ein Wirtschaftskrieg mit unkalkulierbaren Folgen, klimabedingte Katastrophen mehren sich, in Deutschland sind Millionen – zumal junger Leute – arbeitslos, ein rechtsextremer Teil der Bundeswehr putscht und errichtet ein diktatorisches Regime, es herrschen Bürgerkrieg, Flucht und Vertreibung. Wir begleiten eine Gruppe junger Menschen, wie sie sich auf den beschwerlichen und lebens-bedrohlichen Weg machen und ihre nicht mehr vertraute Heimat verlassen um eine neue zu finden. Wir erleben wie sich unter dem Druck der Ereignisse solidarisches Verhalten mindert, Ängste und Misstrauen zunehmen, vertraute Beziehungen kollabieren und die existenzielle Bedrohung das individuelle Verhalten der Menschen massiv verändert. Wie die völlig ungewohnten Verhältnisse die Bedürfnisse unbeeinflussbar regeln. Wie sich Gründe zur Freude wandeln und ungeahnte Fähigkeiten Platz greifen und bisher selbstverständliche Privilegien als solche erkannt werden. Die unbändige Hoffnung auf eine andere Welt wird auf die neue Heimat in der Fremde projiziert. Dort begegnen die Angekommenen jedoch einer undurchschaubaren Bürokratie und zum Teil unverhohlenen Abwehr durch die Mehrheit der Einheimischen, die neue Fremdheit und Einsamkeit auslöst.

 

Warum Theater im Mediendom?

 

Medien, die fiktional oder dokumentarisch Geschichten erzählen, hängen in ihrer Akzeptanz beim Zuschauer maßgeblich von der Kraft der Behauptung ihrer Protagonisten oder Akteure ab.

Der Mediendom behauptet sich zusätzlich erfolgreich beim Publikum, weil er das für den Menschen von draußen bekannte Raumgefühl mit aller technischen Raffinesse auch nach innen projizieren kann. Zusätzlich haben die für das Programm Verantwortlichen in den letzten Jahren zunehmend zu einer vielfältigen Palette von 360° Produktionen Veranstaltungen in Kombination mit Tanz und Musik in das eigene Programm einbezogen. Dabei ging es immer darum, mit der digitalen virtuellen Kraft der Behauptung auf der animierten Kuppel des Doms die vitale Kraft der Livedarstellung auf der Spielebene am Boden zu verknüpfen.

Die Schule für Schauspiel nutzte ihre vom gängigen Theaterund Filmbetrieb unabhängigen Entfaltungsmöglichkeiten und hat in einer Vielzahl von jährlichen Eigenproduktionen experimentelle Spielformen entwickelt und dabei immer auf das Spiel und die Erzählung von Geschichten gesetzt, die durch die lebendige pure Kraft der Behauptung von Spieler und Spiel überzeugen, meist ohne Bühnenbild und aufwändige Kostümierung oder Requisiten.

So lag es nahe, zu versuchen, die medialen Fähigkeiten und Vorteile beider Ansätze in einer gemeinsamen Produktion zusammenzuführen. Dabei waren Sachzwänge zu bewerten und Lösungen zu entwickeln. Denn Raum- und Sachzwänge gibt es ohne Frage: Das gewohnte „Guckkasten-Theater“ mit einer zum Publikum hin geöffneten „vierten Wand“ wird unabänderlich allseitig einsehbar.

Der virtuellen Kuppel wird eine lebendige Szenenrealität gegenübergestellt, die aber räumlich nicht zu sehr in die Höhe reichen darf, um im wahrsten Sinne des Wortes keine Schatten auf die Projektionsebene zu werfen, es sei denn diese sind erwünscht. Allerdings auch das Spiel direkt auf dem Boden verbietet sich, weil es im Mediendom nicht ausreichend einsehbar ist. Das „Bühnenbild“ muss vor allem funktional diese Einschränkungen überwinden helfen.

Wir wollten einen Weg finden, dem jeweiligen Medium seine eigene Realität zu geben und beide gemeinsam für die beabsichtigte Botschaft des Stücks erfolgreich zu nutzen. Im Audiobereich kann der Mediendom durch seinen perfekten Raumklang szenische Effekte beeindruckend verstärken, 360° Standbilder können eine bühnenbildnerische Atmosphäre erzeugen. In den Videoprojektionen auf die Kuppel setzen wir darauf, eine zu den realen Spielszenen ergänzende „Innenansicht der handelnden Personen“ zu spiegeln, die den anderen Protagonisten verborgen bleibt. Die Projektion ergänzt damit die realen Spielszenen, in denen wiederum alle Formen des Theaters Verwendung finden, vom stummen Spiel, Chor, Dialog und Monolog bis hin zum Gesang und stimmlichen Klangbildern und Klängen erzeugt mit realen Saiteninstrumenten oder denen der Percussion (in Zusammenarbeit mit dem musiculum – der musikalischen Lern- und Experimentierwerkstatt in Kiel).
So entsteht wie in einem Kaleidoskop bei gleichem Inhalt immer wieder eine neue Gefühlsebene und Sichtweise auf das Thema.
Dieser mediale und dramaturgische Balanceakt wird insgesamt nur im Kopf jedes einzelnen Zuschauers gelingen oder auch nicht…

Es darf gedacht, gestaunt, geweint und gelacht werden, dann ist uns das Experiment gelungen.